Heute wird es hier ganz privat, denn ich muss euch etwas gestehen: Ich war eine scheue Veganerin. Die Vorstellung, vor dutzenden anderen Menschen in einem Restaurant nach einem veganen Essen zu fragen, trieb mir die Schweißperlen auf die Stirn. Eine Gastgeberin zu bitten, den Käse von meinen Nudeln fernzuhalten, verursachte mir fast Bauchschmerzen. Ich hatte immer das Gefühl, andere Leute würden mich als komisch, schwierig, verschroben empfinden, ich würde anderen auf die Nerven gehen und ihnen mit meinen Sonderwünschen Umstände bereiten, und alle würden ohnehin nur darauf warten, mit der unsicheren Veganerin ein Streitgespräch anzufangen.
Heute nehme ich alles ziemlich locker, ich gehe gerne essen, ich fahre auf Konferenzen, und plaudere locker darüber, warum ich eigentlich vegan bin. Was hat sich verändert? Zunächst einmal hat sich meine ziemlich pessimistische Sicht anderer Leute geändert. Ich war, wenn man es sich recht überlegt, in meinem Veganismus eigentlich ziemlich misanthrop: Ständig ging ich davon aus, dass die anderen nur mit mir streiten wollen, mich als Last sehen oder einfach genervt sind. Tatsächlich kommt das in den seltensten Fällen vor. Ich habe dermaßen viele positive Erfahrungen gemacht. Da gab es die Restaurant-Managerin, die sicher 20 Minuten ihrer Zeit investiert hat, um die Köche über Zutaten auszuquetschen, damit ich ein veganes Essen bekam; den Catering-Service, der mich eine ganze Woche lang freudestrahlend bekocht hat; die Arbeitskollegen, die mich an meinem Geburtstag in ein vegetarisches Restaurant ausgeführt und alle bereitwillig Tofu bestellt haben; die gute Freundin, die plötzlich vegane Cupcakes backen wollte; die Verwandte, die Grünkern-Bolognese als neues Familien-Essen etabliert hat. Ich könnte diese Liste endlos fortführen. Ich habe den Fehler gemacht, gegen Hindernisse kämpfen zu wollen, die oft gar nicht da waren. Viele Leute wollen einfach nett sein, sei es aus persönlichen oder beruflichen Gründen, und finden vegane Menschen gar nicht schlimm. Und die meisten Leute denken gar nicht so viel über euch nach. Wenn ihr also bei der nächsten Firmenfeier ein veganes Essen bestellt und denkt, dass euch alle anstarren, dann liegt ihr meistens falsch und nehmt euch etwas zu wichtig (so wie ich mich auch): Vermutlich ist euer Chef viel zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, als über euch und euren Dinkel-Auflauf nachzudenken.
Weil meine Weisheiten noch gar nicht am Ende angelangt sind, hier ein paar Punkte, die ich im Laufe meiner veganen Karriere gelernt habe.
- Eines kann ich euch versprechen: Wenn ihr wie ein veganer Stinkstiefel auftretet, werdet ihr auch so behandelt werden. Trotziges, vorwurfsvolles Verhalten wird vom Universum augenblicklich mit einer Quittung bedacht. Ich sage nicht, dass wir nie mit anderen Leuten diskutieren dürfen oder aufzeigen sollen, was eigentlich falsch läuft mit unserer Ernährung. Aber für alles gibt es eine Zeit und einen Ort. Wenn ihr also ständig auf Konfrontationskurs seid, ist das euer gutes Recht, aber wundert euch nicht über die Reaktionen. Ich bin als Veganerin bemüht, mich super-freundlich zu geben, höflich, interessiert, eine wahre Gesellschafterin also. Das ist zwar manchmal mühsam, hat aber einen pragmatischen Grund: Für viele Leute bin ich die erste und einzige Veganerin, die sie treffen werden. Und an meinem Verhalten wird Veganismus im Allgemeinen gemessen - das ist zwar unfair, ist aber trotzdem so. Als veganer Prototyp will ich nicht verbittert oder aggressiv auftreten, sondern einfach sympathisch. Dann kann niemand sagen "Ich kenne eine Veganerin, aber die ist echt ziemlich schräg drauf", sondern eher "Ich kenne eine Veganerin, die ist ziemlich nett und eigentlich ganz normal". Und natürlich ist es nervig, wenn jeder fragt "Warum bist du eigentlich vegan?" und "Ist ohne Fleisch denn eigentlich gesund?". Aber bevor ihr die andere Person anspringt, weil ihr diese Frage zum 127. Mal hört, überlegt euch folgendes: Für den anderen ist es vielleicht das allererste Mal, dass er sich diese Frage stellt, und dahinter steht womöglich ein ehrliches Interesse. Ihr habt nun zwei Möglichkeiten: Ihr könnt ruhig und geduldig auf die Frage antworten und vielleicht einen Denkanstoß geben, oder ihr könnt dem anderen eine bissige Antwort geben, und euch freuen, dass ihr es dem Fleischesser mal wieder gezeigt habt. Your choice.
- Speak your own truth: Diesen guten Ratschlag habe ich von Colleen Patrick-Goudreau gelernt. Erzähl deine eigene Wahrheit. Was bedeutet das? Anstatt die Standard-Argumente runterzurattern, warum man vegan leben soll, die China-Study in einem 15 Minuten Monolog vorzutragen, und die neueste Klima-Studie zum Thema Fleischkonsum zu zitieren, könnt ihr den anderen einfach sagen, was eure ganz persönlichen Gründe sind, vegan zu leben. Ich persönlich möchte Massentierhaltung und Ausbeutung nicht unterstützen, und ich fühle mich mit einer veganen Ernährung gesundheitlich einfach viel besser. Über Studien kann man endlos debattieren, aber es kann euch niemand absprechen, dass es euch besser geht, wenn ihr keine Produkte aus Massentierhaltung kauft oder ihr mehr Energie habt durch eine vegane, vollwertige Ernährung. Eure eigene Wahrheit kann euch niemand nehmen, und es wirkt einfach viel authentischer.
- Anstatt dauernd von anderen zu erwarten, dass sie sich gefälligst um euch kümmern sollen, nehmt euer Schicksal doch selber in die Hand. Wenn ihr eingeladen seid, erwartet nicht, dass die Gastgeberin einen Kopfstand macht, um euch zu verköstigen, sondern ruft kurz an und erklärt, dass ihr jetzt vegan lebt, es aber gar kein Problem ist, weil ihr gerne etwas mitbringen würdet, damit sie nicht noch mehr Stress hat (und achtet dann darauf, genug mitzunehmen, damit alle probieren können). Ja, ich habe weiter oben gesagt, dass andere Menschen euch oft gerne entgegenkommen, aber auch die haben sich manchmal etwas Hilfe verdient.
- Manchmal geht es nicht ums Essen, sondern um etwas anderes. Wenn ihr unter den ständigen Vorwürfen eurer Mutter leidet, weil ihr den Sonntagsbraten nicht mehr essen wollt, oder unter den Sticheleien eures Freundes, weil der nächtliche Absacker beim Würstelstand nun ausfällt, geht es oft nicht direkt um euer neues veganes Dasein. Essen ist eine furchtbar emotionale Angelegenheit, denn dahinter steht oft der Ausdruck von Zuneigung, Tradition und Sicherheit. Vielleicht hat eure Mutter das Gefühl, dass ihr sie und ihr Leben ablehnt, und euer Freund hat Angst, dass es nun nie wieder wird wie früher. Wenn euch eine dumpfe Vorahnung beschleicht, dass eigentlich über etwas ganz anderes diskutiert wird als über das Stück Fleisch am Teller, hilft es manchmal, das direkt anzusprechen. Die Karten auf den Tisch legen, sozusagen. Dem anderen klar machen, dass ihr nicht ihn ablehnt, sondern einfach nur das Essen. Und wie wichtig euch Veganismus ist, und ihr ein wenig Unterstützung bräuchtet - auch das hilft oft.
- Kommt Zeit, kommt Rat. Wirklich. Dafür gebe ich euch mein persönliches Ehrenwort. Auch wenn ihr es jetzt furchtbar findet, wie euer Vater über Tofu die Nase rümpft, und eure Arbeitskollegin sich weigert, den leckeren veganen Kuchen zu probieren - es wird anders, bestimmt. Der Mensch ist ein echtes Gewohnheitstier, das sich wirklich mit allem arrangieren kann, nicht zuletzt mit eurem Veganismus. Ihr werdet cooler werden und euer Umfeld auch. Ihr müsst nur ein wenig Geduld haben.
Jeder ist anders. Während mir die Umstellung auf veganes Essen in meinen eigenen vier Wänden ziemlich leicht gefallen ist, war für mich der soziale Aspekt des veganen Daseins der schwierigste. Ich sehe andere Neu-VeganerInnen, die das aber mit einer Coolness und Selbstverständlichkeit handhaben, die ich mir gewünscht hätte. Es bedeutet also nicht, dass wir bei der Umstellung auf eine vegane Ernährung alle die gleichen Herausforderungen erleben werden. Und ja, jeder wird eine Herausforderung finden, denn darum geht es ja, wenn man sich weiterentwickelt - raus aus der Bequemlichkeit, rein in Unbekanntes, wo ein besseres Ich auf einen wartet. Bei manchen geht es leichter, bei manchen geht es schwerer. Ich schließe mit diesem für mich inspirierenden Spruch:
"But nothing worth having comes without some kind of fight - Got to kick at the darkness 'til it bleeds daylight."
Bruce Cockburn, kanadischer Folkgitarrist und Sänger